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Die Welt wird täglich ungerechter, das Geflecht aus politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten immer dichter: Vor diesem Hintergrund lässt Hagen Rether Strippenzieher, Strohmänner und Sündenböcke aufziehen. Den so genannten gesellschaftlichen Konsens stellt er vom Kopf auf die Füße und die Systemfragen gleich im Paket: Von der Religions„freiheit“ über das Wirtschaftswachstum bis zur staatlichen „Lizenz zum Töten“ kommt alles auf den Tisch. Doch die Verantwortung tragen nicht „die Mächtigen“ allein – wir, ihre mehr oder weniger willigen Kollaborateure, müssen uns wohl am eigenen Schopf aus unserer Komfortzone ziehen, um nicht in den Abgrund zu stürzen, den wir gemeinsam geschaufelt haben.
Der wahrhaft unbequeme Kabarettist entlarvt so manchen Volkszorn samt seiner auf „Die da oben“ zielenden Empörungsrhetorik als Untertanentum – den Unwillen, unsere eigenen, fatalen Gewohnheiten zu überwinden. Kabarett verändert nichts? Rethers ebenso komisches wie schmerzhaftes, bis zu dreieinhalbstündiges Programm infiziert das Publikum mit gleich zwei gefährlichen Viren: der Unzufriedenheit mit einfachen Erklärungen und der Erkenntnis, dass wir alle die Kraft zur Veränderung haben.
LIEBE, so der seit Jahren konstante Titel des ständig mutierenden Programms, kommt darin nicht vor, zumindest nicht in Form von Herzen, die zueinander finden – und romantisch kommt allenfalls einmal die Musik des vielseitigen Pianisten daher. Was aber in seinem fulminanten Plädoyer für das Mitgefühl sichtbar wird, ist die Menschenliebe eines Kabarettisten, der an Aufklärung und an die Möglichkeit zur Umkehr noch am Abgrund glaubt.